SELBSTFÜRSORGE UND KETTENSÄGEN

SELBSTFÜRSORGE UND KETTENSÄGEN

Es war einmal ein alter Holzfäller. Er arbeitete seit vielen Jahren im Wald und war sehr erfahren. Jeden Tag fällte er mit seiner Kettensäge ein halbes Dutzend Bäume. Bezahlt wurde er natürlich im Akkord. Mit sechs Bäumen am Tag wurde man nicht reich, aber es reichte immer zum Leben, denn er brauchte nicht viel.

So stand er jeden Morgen früh auf, packte seine Sachen zusammen, schärfte seine Kettensäge, ging in den Wald und fällte seine Bäume. Dort wurden sie dann abgeholt und der Forstunternehmer zahlte ihm seinen Lohn. Seit vielen Jahren machte er es so und es ging ihm gut damit.

Eines Tages aber änderte sich etwas: Ein junger Holzfäller ging mit ihm in den Wald. Er war sehr jung, voller Muskeln und die große Kettensäge sah in seinen Händen fast wie ein Spielzeug aus. Während der alte Holzfäller stets gemächlich durch den Wald streifte und Bäume auswählte, marschierte sein junger Kollege voller Elan durch die Bäume und sägte was das Zeug hielt. Am Ende des Tages war er verschwitzt und erschöpft und nicht weniger als dreizehn Bäume lagen zur Abholung bereit. Der alte Holzfäller hatte wieder genau sechs Bäume gefällt.

Nun wusste der alte Holzfäller natürlich, dass mit der Zeit sein Kollege ruhiger werden würde. Es war schließlich normal etwas übermotiviert zu beginnen und dann langsamer zu werden. So kam es dann auch und es wurden Tag für Tag weniger Bäume, die sein Kollege fällte. Aber womit der alte Holzfäller nicht gerechnet hatte war, dass sein Kollege bald schon Schwierigkeiten bekam so viele Bäume wie er zu fällen. Er ging immer früher morgens in den Wald und kam erst in der Dunkelheit zurück aber schaffte nur mit Mühe noch sechs Bäume, bald nur noch fünf, dann vier und es wurde auch immer später bis er zurückkehrte.

Der alte Holzfäller wunderte sich natürlich sehr und beschloss nachzusehen, was der Grund wäre der seinen jungen Kollegen so aufhielt. Er folgte ihm also mit einigem Abstand um nicht gesehen zu werden und als der junge Holzfäller einen Baum gefunden hatte, versteckte sich der alte Holzfäller im Unterholz und sah zu. 

Sofort erkannte er das Problem. Die Kettensäge seines Kollegen war stumpf geworden und er mühte sich schwer um durch das Holz zu schneiden. Er drückte und drückte, doch die stumpfe Kette schnitt kaum in den Stamm und es brauchte viel Schweiss und Mühe, bis der Baum zu Fall gebracht werden konnte. Ähnlich mühselig ging es dann weiter mit dem Abschneiden der Äste, als der Baum auf dem Boden lag und dann rannte sein junger Kollege auch schon los, um das gleiche Prozedere mit dem nächsten Baum zu wiederholen.

Der alte Holzfäller hatte Mitleid mit seinem jungen Kollegen und folgte ihm. Bevor er begann, den nächsten Baum zu fällen, sprach er ihn an:

„Entschuldige bitte, aber ich habe dich gerade beobachtet. Die Kette deiner Säge ist schrecklich stumpf. Du musst sie dringend schärfen, das musst du jeden Tag tun.“

Der junge Holzfäller sah ihn entgeistert an.

„ Was? Ich schaffe ja jetzt schon nicht genug! Woher sollte ich denn da um Himmelswillen die Zeit nehmen, um meine Kette zu schärfen?“

Kommt Ihnen das bekannt vor? Wie viele Minuten am Tag kümmern Sie sich um sich selbst? Unser Alltag ist oft ausgesprochen voll. Wir rennen von einem Termin zum nächsten und kommen kaum hinterher. Manche von uns kriegen es besser hin als andere, aber viel zu tun haben wir irgendwie immer alle.

Wie oft nehmen Sie sich die Zeit sich in Ruhe hinzusetzen und Ihre Kette zu schärfen? Wie oft nehmen Sie sich Zeit am Tag oder gehen vielleicht zum Osteopathen, damit er Ihnen hilft Ihre Kette zu schärfen? Zahn für Zahn, ganz in Ruhe, bis Ihre Säge wieder so scharf ist, dass Sie alle Bäume die sie am Tag zu fällen haben wieder leichter zu Fall bringen können?

(Inspiration zu dieser Geschichte fand ich bei Ajahn Brahm Autor einiger lesenswerter Bücher und Spiritual Director der Buddhist Society of Western Australia, deren Internetauftritt bswa.org Ich ebenfalls wärmstens empfehlen kann.)